Der Kämpfer im Vatikan by Englisch Andreas

Der Kämpfer im Vatikan by Englisch Andreas

Autor:Englisch, Andreas [Englisch, Andreas]
Die sprache: deu, ita, pol
Format: epub
Herausgeber: C. Bertelsmann
veröffentlicht: 2015-10-24T16:00:00+00:00


Überraschung von Turin

Es ist heiß in Turin, als Papst Franziskus am Morgen des 21. Juni 2015 in der piemontesischen Stadt eintrifft, und das betrifft nicht nur das Wetter. Die Spannung ist mit Händen zu greifen, denn der Papst reist in die Höhle des Löwen. Durch seine Entscheidung, dem Turiner Erzbischof zum ersten Mal seit über 100 Jahren die automatische Verleihung des Kardinalshuts zu verweigern, fühlt sich das gesamte Bistum zurückgesetzt. Selbstverständlich weiß der Erzbischof, dass er gute Miene zum bösen Spiel machen muss, aber schwierig ist die Situation in jedem Fall. Jedes Mal, wenn der Turiner Erzbischof mit den anderen italienischen Bischöfen zusammentrifft, muss er sich die kritischen Blicke gefallen lassen, in denen die Frage steht: Warum verweigert der Papst dir eigentlich den Kardinalshut? Was hast du getan? Das Gleiche gilt natürlich in der Diözese, obwohl sich niemand traut, es auszusprechen. Der erste Erzbischof, der seit über 100 Jahren keinen Kardinalshut bekam, wird natürlich als Versager gesehen. Irgendetwas muss dem Papst ja missfallen haben, dass er die uralte Tradition unterbricht. Dass der Papst einfach keine Übermacht der Italiener in der Kurie und im Kardinalskollegium will und dass dies mit dem Einzelfall des Turiner Erzbischofs gar nichts zu tun hat, davon möchten natürlich alle, die dem Erzbischof übelwollen, nichts wissen.

Jetzt stellt sich also die Frage, ob der Papst mit einer frohen Botschaft nach Turin gekommen ist und die Diözese wieder aufwertet. Es besteht zumindest die Hoffnung, dass der Papst die Diözese, aus der seine Vorfahren stammen, wegen ihrer großartigen Tradition besonders lobt. Dass dies ausbleiben könnte und der Papst in Turin stattdessen mit großer Zärtlichkeit vor allem seiner Großmutter gedenken wird, kann man sich zu Beginn des päpstlichen Besuchs noch nicht vorstellen. Aber das ist nicht die einzige Herausforderung, der Fanziskus sich in Turin stellen muss, es gibt eine weitere. Die konservativen Kreise der Kirche wollen endlich eine eindeutige Antwort auf die Frage, um die es im Pontifikat von Papst Franziskus immer wieder geht: Wie katholisch ist der Papst eigentlich, und ist er überhaupt noch katholisch im Sinne der Traditionalisten?

Es gibt keine andere Stadt in Italien, in der die Chance für den Papst, das Katholische zu verteidigen, so groß ist wie in Turin. Denn der Papst kommt nicht aus irgendeinem Grund, sondern zu einem unerhört katholischen Anlass: einer außerordentlichen Zurschaustellung (Ostension) des Turiner Leichentuches. Das Leichentuch wird in unregelmäßigen Abständen gezeigt, die letzten Zurschaustellungen gab es in den Jahren 1978, 1998, 2000, 2010, 2013 und von April bis Juni 2015.

Nichts ist so katholisch wie die Verehrung der Reliquie, die alle lutherischen Kirchen als heidnischen Brauch ablehnen. Noch etwas erhoffen sich die konservativen Kreise von dem Besuch des Papstes, dass er die Traditionen der Kirche betonen wird und natürlich auch seine eigene Herkunft aus dem alten Italien. Der argentinische Revolutionär Papst Franziskus, dessen Motto es ist, alles durcheinanderzuwirbeln, und der die Kirche dadurch zutiefst verunsichert hat, soll in Turin endlich zeigen, dass er weiß, woher er stammt, nämlich aus dem alten Italien, das die uralte Tradition der römisch-katholischen Kirche geprägt hat. Endlich



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